Toblacher Gespräche

Diese Seite dokumentiert die Toblacher Gespräche wie sie bis zum Jahre 1999 durchgeführt wurden. Zu diesem Zeitpunkt beschloss Hans Glauber, den Zyklus der jährlich stattfindenden Gespräche zu beenden. Da ich von Anfang an dabei war, und da das ein sehr spannendes Experiment einer öffentlichen Deabatte über ökologische Grundsatzfragen im deutschsprachigen Raum war, dokumentiere ich das hier gerne in Erinnerung an den im Sommer 2008 verstorbenen Hans Glauber.


Hans Glauber führt in die Toblacher Gespräche ein (ca. 1989)

Die Toblacher Gespräche sind ein seit 1985 jährlich im September gepflegter Treffpunkt einer gehobenen Fach- und Gesinnungsklientel des Umweltbereichs (ca.150-180 Teilnehmende). Über 2 1/2 Tage gibt es ca. 15 Vorträge mit Diskussion und abschließend eine Podiumsdiskussion, auf der PolitikerInnen und UmweltexpertInnen mit dem Publikum im Dialog stehen. Konferenzsprachen sind Deutsch und Italienisch. Die Gespräche dienen dem Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis, aber auch dem Nord-Süd-Austausch in Europa.

Initiator und wesentlicher Gestalter der Gespräche war der in Toblach (Südtirol) geborene Dr. Hans Glauber. Vom Studium her Soziologe, arbeitete im Marketing des Olivettikonzernes, Künstler(Fotokunst), Begründer und Leiter des italienischen Öko-Institut Südtirol (1989-2008), Künstler, der in den frühen 80er Jahren von ästhetischen Objekten zur "sozial-ökologischen Plastik" wechselte. Finanziert werden die Gespräche aus unterschiedlichen Quellen (Landesregierung Bozen, Heinrich Böll Stiftung, Toblacher Verkehrsverein, Raiffeisen-Bank, EU, etc.)

Neben den Promis wie Robert Jungk, Klaus Traube, Reinhard Loske, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Graßl, Beate Weber, Cohn-Bendit, etc. haben viele VertreterInnen innovativer Umweltprojekte aus ganz Europa referiert und selbstverständlich waren Tiroler PolitikerInnen immer wieder gefordert, sich den Konfrontationen von draußen zu stellen. Aufgrund des grünen Vorsprungs des Nordens war es von Anfang an nicht leicht, bei den ReferentInnen ein ausgewogenes deutsch italienisches Verhältnis einzuhalten. Auch die Geschlechterausgewogenheit bereitete insbesondere in der Anfangsphase Probleme.

Fragt man nach dem Anspruch, dann sollten die Gespräche

  • durch Wissensimport eine Initialzündung und Hilfestellung für die italienische Umweltbewegung darstellen
  • durch Dialog einen grenzüberschreitenden Erfahrungsaustausch herstellen
  • lokal und regional Impulse für Umweltprojekte auslösen
  • überregional mittels der Thesen Pointierungen handlungspolitischer Empfehlungen für Bildung, Politik und Praxis bereitstellen
  • lokalkulturelle Annäherungen der Angereisten knüpfen (ein Büffet der einheimischen Gastronomie, Knödel Essen, lokale Besichtigungen)

Fragt man nach der Wirkung, dann gibt es dazu keine wissenschaftlichen Untersuchungen. Die politische Funktionsträger Toblachs standen zu Beginn den Gesprächen sehr skeptisch gegenüber, begriffen aber allmählich den touristischen Mehrwert zu schätzen. Bei den letzten Gesprächen war schließlich der Bürgermeister mit auf dem Podium. Einheimische Bauern, Hoteliers, Angestellte sind rar im Publikum. Am ehesten akzeptieren tiroler LehrerInnen das Angebot. Lokale Effekte sind bei dem Stopp von Bauflächenausweitungen, bei der Erstellung eines Bio-Heizkraftwerkes, und beim hohen Anteil von Solardächern erreicht worden. Regional wirkt das Ökoinstitut Bozen durch Gutachten und Projektbeteiligung, das auch als Kind der Toblacher Gespräche betrachtet werden kann.

Überregional sind die jährlich zu den verschiedenen Fachthemen produzierten Thesen in Zeitungen und Verbandsorganen erschienen und werden z.T. auch in Bildungsveranstaltungen zitiert. Die Presseresonanz in Italien ist dabei leider geringer als die im Norden. Im Publikum hat allerdings deutlich in den letzten Jahren der italienische Anteil zugenommen, obwohl die ReferentInnen immer noch mehrheitlich aus den deutschsprachigen Ländern (Österreich, Schweiz, Deutschland) kommen. Die Toblacher Gespräche der 80er und frühen 90er Jahre hatten eine wichtige Funktion, aktuelle Umweltthemen zu fokussieren, die beteiligten Vordenker zusammenzubringen, und insbesondere die europaweiten ersten Projekte und deren Innovateure bekannt zu machen und Erfahrungsaustausch zu ermöglichen. In Weimar wurde 1998 - getragen von der Heinrich Böll-Stiftung - ein deutscher Ableger mit mehr kultureller Orientierung etabliert.

Die persönliche und institutionell unabhängige Handschrift von Hans Glauber bei der Bestimmung der Themen, der ReferentInnen und in der Art der Durchführung schaffte das besondere Klima, das für viele den einzigartigen Reiz ausmachte, Teil der Toblacher Gespräche zu sein. Das Niveau in den Plenumsdiskussionen war hoch und der Umgangsstil tolerant. Es gab einen gewissen treuen Kern von Teilnehmenden, die immer wieder die Gespräche besuchten. Der Rückgang der Deutschen in den letzten Jahren ist nicht zuletzt ein Symptom dafür, daß die großen Umweltthemen wie Mobilität, Tourismus, Energie, Lebensstil, Landwirtschaft 'ausgelutscht' sind, d.h. wesentliche Erkenntnisse sind bereits zigfach publiziert. Eine Tagung darüber kann immer nur wieder über Vollzugsdefizite klagen und sich an wenigen guten Einzelbeispielen erbauen. Öko ist heute als Thema akzeptiert und etabliert, als Sache hat es in Nischen Platz gefunden und ist da, wo man Geld sparen kann (im Energiebereich) und wo Emissionsbeeinträchtigungen allzu lästig sind, weit in die industrielle Standards gedrungen. Dennoch steht der Mainstream auf weiterem Wachstum und weiterer Ressourcenverschwendung - ein Fakt, der regelmäßig in der Eingangsthese der vielen Toblacher Thesen beschworen wird.

Die 'letzten' Toblacher Gespräche 1999 zum anspruchsvollen Thema: 'Neueinstieg ins 21. Jahrhundert' verdeutlichen das Dilemma der bestehenden Etablierung aller Umweltthemen. Wenn schon die Studie des Wuppertalistituts bereits 1995 feststellte, daß sie keine wesentlich neuen Erkenntnisse vorstellen könne, sondern nur synthetisiere, dann kann das, was uns heute einzelne ReferentInnen auf den Weg ins 21 Jahrhundert geben wollen, allenfalls rhetorisch aber nicht mehr inhaltlich brillieren. Beim Formulieren der Thesen (regelmäßig im holzgetäfelten, kachelofen bestückten Wohnzimmer Hans Glaubers nach einer Thesenessenseinladung) wurde den beteiligten ReferentInnen deutlich, daß z.B. die zwei Thesen zur Mobilität an Aussageschärfe hinter das zurückfallen, was bereits 1986 und dann noch einmal 1996 zu diesem Thema insgesamt formuliert worden ist. In Sequenzen von Vision und Realisierung stellten sich die Tagung den Themen Sonne, Landwirtschaft, Mobilität, Tourismus und Multikultur. Dabei waren die Visionen meist gar nicht so visionär und etliche Beispiele hingen noch massiv am Subventionstropf, d.h. sie waren nicht überzeugend zukunftsfähig.

Während das Thema Schönheit der vorletzten Gespräche (98) noch einmal etwas Neues insbesondere für die Ökoszene darstellte (allerdings von den deutschen Teilnehmenden weniger nachgefragt wurde, vielleicht gerade deshalb, weil im ökologischen Bewußtsein die kulturell-ästhetische Frage unterbelichtet ist), fehlte den letzten Gesprächen ein innovativer Schwung. Originell war noch Graßls Beitrag, daß wir rechnerisch mit der Sonne ein riesiges Kraftwerk haben, dessen Nutzung im 21. Jahrhundert der 3. Welt potentiell Vorteile für eine ausgewogenere Nord-Süd-Entwicklung bieten könne. Und auch Cohn-Bendits rhetorisch gelungene Präsentation der Multikulti-Probleme Europas mit Bezug auf Südtirol brachten frischen Schwung zu einem Thema in die Runde, das so deutlich in Toblach noch nie diskutiert worden war. Mann/Frau war sicherlich nicht umsonst nach Toblach gekommen, aber Anspruch und Einlösung klafften doch etwas auseinander.

So liegt es denn sehr nahe, daß Hans Glauber die Toblacher Gespräche 1999 in dieser Form mit leichter Wehmut für die letzten erklärte, und über einen neuen Zyklus von zukünftig mehr workshopartigen Treffen für kleinere ausgewählte Zielgruppen reflektiert. Die Gespräche fanden bislang in der Aula der Schule Toblachs statt. Nun ist der Umbau des ehemaligen Grand Hotels zu einem Tagungszentrum gerade fertig, so daß sich auch darüber eine neue Tagungsform anbietet.

Heino Apel (ursprünglich geschrieben 1999)

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